Idealistisch?!

Ein paar meiner letzten Blogposts machen mir ganz schön zu schaffen. Im speziellen, Mitleiden?!, Diskriminieren?! und Bedingungslos?!. Sie beschreiben, wie ich mir unser Miteinander und diese Welt erträume. Ich gebe zu, was ich schreibe ist idealistisch, aber durch und durch ernst gemeint.

Ich wünsche mir, dass wir liebevoll, mitfühlen und urteilsfrei miteinander umgehen.

Ich glaube, was mir zu schaffen macht ist der Fact, dass ich Mühe habe mit Menschen, die Wasser predigen und Wein trinken. Und ich weiss, dass ich damit nicht die einzige bin. Das hat zur Konsequenz, dass ich mich selbst sehr in die Pflicht nehme, zu leben, was ich euch schreibe. Dabei komme ich täglich an meine Grenzen und scheitere. Hier ein paar Beispiele:

Heute morgen hat mir eine liebe Freundin von einem Schicksalsschlag in ihrer Familie erzählt. Die Gefahr ein Trostpflaster zu verteilen, in der Hoffnung es geht ihr dadurch irgendwie besser, war riesig. Naja, um ehrlich zu sein, ganz ist es mir nicht geglückt, einfach für sie da zu sein und Mitgefühl zu zeigen. Ich fühlte mich so hilflos, dass mir doch ein beschwichtigender Satz eingefallen ist.

Gestern hat mir jemand eine Geschichte anvertraut, wo in der Familie gelebter Glaube eine kleine Kinderseele zerstört hat. Wo Christsein so eng war, dass es Willen gebrochen und Daseinsberechtigung geraubt hat. Ich sass da und versuchte die Verursacher und das fundamentalistische Christentum nicht zu verurteilen. Mir ist zumindest gelungen, nur das Mitgefühl für das Opfer, aber nicht die Verurteilung für die Täter auszusprechen. Aber es bleiben Ohnmacht, Wut und Hilflosigkeit in mir zurück und ich bin nicht ganz urteilsfrei.

Und noch ein letztes Beispiel: Mein Mann hat mich vor ein paar Tagen ziemlich verletzt. Einfach, weil er einen schweren Tag hatte und ein Ventil gebraucht hat. Ich hatte vorab schon geahnt, dass es kein leichter Tag für ihn werden würde. Aus diesem Grund hätte ich mich innerlich schon vorbereiten und rüsten können, auf das was kommt. Und trotzdem habe ich versagt. Ich wehrte mich mit einem guten Rat, was er an sich ändern könnte. Warum? Ich glaube, weil ich es kaum aushalte, wenn mein Mann leidet.

Ich glaube, das ist bei allen drei Beispielen das Problem. Das Leid der andern aushalten zu müssen, und mit den Gefühlen, die das bei mir auslöst, umzugehen.

Ich bin dann ein Stück überwältigt von dem, was da in mir passiert.

Trostpflaster, Belehrung, Ratschläge, Verurteilung und Co sind letztendlich Versuche meine Emotionen zu bändigen. Aber leider nicht nur. Ich versuche auch die Emotionen der anderen zu bändigen. Sicher in den meisten Fällen mit der guten Absicht zu helfen. Aber doch auch ein bisschen, um das Problem für den anderen zu lösen –  auch damit ich nicht mehr darunter leiden muss.

Wenn mein Mann endlich mit ein paar Dingen in seinem Herzen aufräumen würde und sich bei Sitzungen «richtig» verhalten könnte, dann würde er nicht mehr leidend oder genervt nach Hause kommen. Und ich müsste dann nicht mehr mit den Gefühlen dealen, die es bei mir auslöst.

Ich finde das ist ein perfekter Plan ;-)

„Worte ohne Taten sind die Mörder des Idealismus.“ – Unbekannt

Kennt ihr den Satz «den Menschen lieben, aber die Sünde hassen»?

Vor kurzem habe ich einen Artikel gelesen in dem der Autor beschrieben hat, wie er bei Sündern unterscheidet zwischen Sachebene und Personenebene, um den Menschen zu lieben, aber die Sünde zu hassen.

Wäre es möglich, dass dies eine weitere Strategie ist mit unangenehmen Gefühlen umzugehen?  Diese Methode wenden wir an, wenn uns Fehlverhalten anderer überfordert.

Aufgrund dieses Artikels habe ich ein paar Nachforschungen betrieben. Interessant ist, dass Jesus selbst diesen Sünder-lieben-Sünde-hassen-Satz nie gesagt hat. Wenn ich richtig informiert bin, hat er in den vier Evangelien insgesamt nur zweimal aufgefordert nicht mehr zu sündigen. Und hat Sünde fast nie konkret angesprochen. Komisch, wenn man bedenkt, wen er Tag für Tag um sich hatte.

Uns allen ist klar, dass Jesus Sünde nicht gutgeheissen hat.

Aber dennoch hiess das scheinbar für ihn nicht, dass er Sünde ständig konfrontieren und besprechen musste. Irgendwie ging er anders damit um.

Meine Frage ist:

Erzeugen wir nicht eine Trennung, wenn wir versuchen Sünder zu lieben und Sünde zu hassen? Gibt das nicht eine Trennung in uns und im anderen?

Für mich klingt es nach dem Versuch, etwas von einer Person abzuschneiden, was mir nicht behagt oder mich überfordert, ob aus persönlichen oder moralischen Gründen. Mir ist klar etwas abzutrennen hilft uns, Dinge auszuhalten, die uns überfordern oder uns emotional überwältigen. Schliesslich ist das auch eine Strategie, die unser Hirn und unsere Seele benutzt bei traumatischen Erlebnissen. Wir spalten das Schwere, Überwältigende ab.

Könnte es sein, dass uns manche Sünden/Verhaltensmuster so überfordern oder mit unserem eigenen Herz konfrontieren, dass wir das Verhaltensmuster des Gegenübers abtrennen, um die Person überhaupt auszuhalten?

Hier ein fiktives Beispiel: Der Sohn einer traditionell gläubigen Mutter begeht einen Mord. Mit dem Sohn zu brechen kommt nicht in Frage, weil sie ihren Sohn liebt. Vom christlichen Glauben und der Gesellschaft geprägt, ist ihr klar: Diese Tat ist falsch und eine Sünde. Sie ist hin- und hergerissen zwischen der Liebe zu ihrem Sohn und den Gefühlen die der Mord in ihr auslöst. Sie macht sich riesige Sorgen, weil ihr Sohn vom rechten Weg abgekommen ist. Dass die Hölle für ihn droht, sollte er nicht Busse tun, wird nie ausgesprochen, aber ist eine schlüssige Befürchtung.

Sicherlich würde die Busse das Höllenproblem beruhigen. Aber eine gesellschaftliche Rehabilitation ist recht unwahrscheinlich. Die Mutter hat jetzt einen Mörder als Sohn.

Ich gehe davon aus, diese Mutter quält sich mit vielen Emotionen. Da ist vielleicht Eckel vor der Tat, Scham, Schuldgefühle, es bringt vielleicht auch ihren Glauben ins Wanken und sie macht sich sicher Sorgen um ihren Sohn.

Ich kann mir gut vorstellen die Tat des Sohnes vom Sohn abzutrennen, ist eine Erleichterung für die Mutter. Es hilft ihr dabei, ihren Sohn lieben zu können und irgendwie mit den Gefühlen zurechtzukommen, die der Mord auslöst.

Und selbstverständlich verstehe ich, wenn wir mit manchen Menschen so umgehen.

Aber da ich, wie schon erwähnt, eine sehr idealistische Seite habe, wünsche ich mir, dass wir dabei nicht stehen bleiben. Und ich wünsche mir, dass wir Sachen, die uns überfordern nicht einfach abschneiden oder zudecken und es dabei belassen.

Sowohl meine drei Beispiele von oben als auch das letzte fiktive Beispiel zeigen mir, dass wir dringend Gottes Blick auf unsere Emotionen brauchen.

Wenn ich Gott richtig verstehe, wünscht er sich ein ganzes Herz für uns anstelle eines geteilten Herzens.

Wie können wir unsere Gefühle ins Boot holen? Wie können wir Frieden schliessen mit den unangenehmen Emotionen? Wie halten wir sie besser aus?

Was meinst du? Lass mich wissen, was du denkst …