Liebe dich Selbst?!
«Du musst es nicht immer mit mir aushalten. Du kannst zwischendrin mal gehen, ich kann leider nicht von mir weg». Dieser Satz war vor zwei Wochen meine Reaktion auf ein Kompliment.
Schon beim Aussprechen habe ich gemerkt, dass diese Antwort nicht so lustig war, wie ich gehofft hatte. Es sollte witzig sein. War es auch, zumindest hat mein Gesprächspartner geschmunzelt. Aber irgendwie hatte mein Spruch einen merkwürdigen Nebengeschmack.
Interessanterweise komme ich seit dieser Begegnung mit den unterschiedlichsten Menschen ganz zufällig immer wieder auf ähnliche Fragen und Themen zu sprechen. Wie wäre es von sich Pause machen zu können? Würden es andere aushalten so zu sein wie ich? Würde mein Mann klarkommen, wenn er auch so intensiv fühlen würde wie ich? Mag ich mich? Lass ich mir selbst Wertschätzung und Anerkennung zukommen?
Vielleicht sind euch diese Fragen zu philosophisch. Das kann sein. Aber die Frage, die ihr euch, meiner Meinung nach, mal stellen solltet, ist folgende: Habt ihr euch gerne und seid ihr gerne mit euch zusammen?
Ich muss gestehen, ich bin oft auf der Flucht vor mir selber. Meine gängigen Fluchthelfer sind Netflix, Arbeiten und Romane.
Ich kann zwar nicht aus mir raus, aber ich kann mich zumindest von mir ablenken.
Ich bin aber nicht nur gut darin, mich von mir abzulenken. Die Flucht ins Aussen gelingt mir auch sehr gut. Vielleicht wisst ihr nicht, was ich damit meine. Dazu zählt für mich, dass ich mich beschäftige mit Bedürfnissen und Erwartungen von andern. Und dass ich ihnen vielleicht sogar versuche, gerecht zu werden. Das ist zwar häufig sehr anstrengend, aber erfüllt am Ende seinen Zweck. Ich bin nicht mit mir beschäftigt, ich konnte vor mir abhauen. Selbstverständlich ist mir das in dem Moment nicht so bewusst, wie jetzt, wo ich euch davon erzähle. Es passiert einfach. Schwups, sind meine Gedanken absorbiert von Sorgen, Nöten, Befürchtungen, Erwartungen oder ich sitze völlig gefesselt vor dem Laptop oder hinter einem Buch.
Die Sorge um das Weltgeschehen, unsere Lieben oder sich ständig um eine Krankheit zu drehen, ist auch eine Art von seinem Innen ins Aussen fliehen zu können. To Do Listen, die eh nie aufhören, Sex oder Pornos schauen und mehrmals täglich Social Media checken sind auch sehr geeignet, um den Kontakt mit sich selbst zu vermeiden. Und vor ein paar Tagen habe ich in einem Artikel gelesen, dass immer mehr Menschen ständige Musikbeschallung brauchen. Man stellte fest, dass sie dadurch vermeiden mit sich selbst im Kontakt zu sein, und vor allem die lauten Reize betäubend wirken.
Ich bin mir selbst oft zu viel. Meine Gefühle sind zu intensiv, meine Gedanken sind zu schnell und zu laut, mein Körper schmerzt an irgendeiner Stelle zu sehr, …
Und was ich mir endlich eingestehen muss: Ich würde vermeiden mit einer Person Zeit zu verbringen, die mich so behandelt, wie ich das tue!
Stellt euch vor ihr bräuchtet dringend jemanden zum Reden, weil euch etwas sehr beschäftigt. Und eure Freundin oder euer Kollege würde nicht mal einen kompletten Satz zuhören, sondern euch stattdessen einfach vor den Fernseher setzen. Oder euch eine Liste mit Aufgaben in die Hand drücken mit der Erwartung, dass ihr diese To Do’s jetzt erledigt.
So in etwa läuft das häufig ab, wenn ich mit mir alleine bin.
Neulich habe ich mir jemandem über dieses Fluchtverhalten ausgetauscht. Dabei hat sie mich gefragt: «Aber was soll ich denn sonst machen, wenn ich nicht mehr lesen, aufräumen, Film schauen und Musik hören darf? Ich kann ja nicht nur da sitzen und in die Luft starren?»
Ich wusste worauf sie rauswollte. Klar müssen wir unser Leben füllen mit Dingen, die uns freuen und inspirieren! Und selbstverständlich geht es mir nicht darum, dass wir ab jetzt nur noch vor uns hinvegetieren sollen. Aber es gibt einen Unterschied zwischen «ich mach es aus Freude» und «ich mach es, weil ich mich nicht aushalte». Ich kann ein und dasselbe tun, aber aus unterschiedlichen Gründen. Ich kann aufräumen, weil es mir Klarheit bringt und ich dadurch zum Beispiel innerlich Raum für Kreativität schaffen kann. Oder ich kann aufräumen, weil ich mich ablenken muss von mir selbst. Denn manchmal ist das Badezimmer putzen einfacher als eine Tasse Tee zu trinken und zu spüren, dass ich riesige Angst um meine Kinder habe.
“ Das Schlimmste ist, wenn man sich selbst vergisst. “ – Konfuzius
Euch von all dem zu schreiben ist mir aus einem bestimmten Grund wichtig!
Ich glaube an einen Gott, der von sich sagt, dass er die Liebe ist. Und ich bin Teil einer Religion, für die Nächstenliebe ein zentrales Thema ist. Dies, weil Jesus einmal von Pharisäern gefragt wurde, was seiner Meinung nach das grösste Gebot sei. Jesus antwortete, dass es zwei gleichwertige Gebote sind. Gott zu lieben mit unserem ganzen Sein und unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst. Nachzulesen zum Beispiel in Matthäus 22. Ich stelle immer wieder fest, dass Christen sehr bemüht sind, Gott zu lieben. Und wir uns auch aufopfern, um unsere Mitmenschen zu lieben.
Aber wenn ich mir diese Antwort von Jesus anschaue, vergessen wir einen Teil! Die Selbstliebe. Und wir vergessen, dass unsere Liebe zu unseren Mitmenschen nur so weit gehen kann, wie unsere Liebe zu uns selbst geht.
Also wenn wir ständig versuchen, uns zu verbessern, zu heiligen und ein besserer Christ zu werden, ist es nur natürlich, dass wir unsere Mitmenschen versuchen zu verbessern, zu ermahnen zu einem besseren Lebensstil und versuchen zu missionieren.
Wenn wir vor uns selbst zu fliehen, weil wir es nicht mit uns aushalten, werden wir auch ab und an Beziehungen zu Mitmenschen vermeiden. Oder zumindest innerlich nicht ganz anwesend sein. Ein Beispiel von mir: Mein Mann erzählt mir etwas und ich schau nebenbei nur kurz auf WhatsApp, weil es wichtig sein könnte.
Die Frage ist meiner Meinung nach nicht, wie wir uns solches Verhalten abgewöhnen oder wie wir barmherzig und liebevoll miteinander umgehen können. Die Frage, die vor Allem steht ist, wie können wir liebevoll und wertschätzend mit uns selbst umgehen. Was brauchen wir, dass wir es besser mit uns aushalten und uns mögen?
Ich glaube die Antwort ist versteckt in dem Gebot das Jesus als erstes nennt. Gott und die Liebe zwischen ihm und uns ist ein Schlüssel für Selbstliebe und Nächstenliebe. Denn wir sind gemacht, um in Beziehung zu sein. Wir sind gemacht, um zuallererst geliebt zu werden. Wenn ich mir ein Baby oder ein Kleinkind anschaue, sehe ich einen kompletten Menschen, der nichts anderes kann, als sich lieben, beschützen und versorgen zu lassen. Er macht nichts, ausser die Welt zu entdecken und abhängig zu sein. Leider passieren hier schon viel zu viele Verletzungen, weil die, die uns versorgen, lieben und schützen sollen, das nicht schaffen. Und trotzdem ist es für mich ein Abbild für unsere Beziehung zu Gott. Die Bibel sagt: Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat. Wir können ihn, uns und unsere Nächsten nur lieben, wenn wir seine Liebe erlebt, gespürt, gesehen und verinnerlicht haben.
Deshalb möchte ich auch diesen Blogpost beenden mit dem Vorschlag mehr Zeit dafür zu verwenden, der Liebe in Person zu begegnen.
Und lasst mich gerne wissen, was ihr über dieses Thema denkt …
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