Mitleiden?!

Heute möchte ich mit euch ein paar Gedanken teilen, die ich schon eine ganze Weile mit mir herumtrage.

Nuggi (Schnuller), Deckel, Schoggi, Pflaster, … das alles sind Begriffe, die ich dafür benutze, wie wir auf Leid, Schmerz und Probleme reagieren. Dabei ist es meistens auch egal, ob es unsere eigenen Nöte sind oder die der anderen.

Wir versuchen uns mit frommen oder sinnigen Sätzen gegenseitig zu beruhigen, wie mit einem Nuggi oder Schokolade. Wir versuchen auf Tränen oder Wut mit rationalen Antworten einen Deckel zu packen. Wir versuchen auf schmerzhaftes Erleben ein Trostpflaster zu kleben, ohne einen echten Blick auf die Wunde zu werfen …

Vor ein paar Tagen habe ich ein Video über ein Ehepaar gesehen, das Paarberatungen anbietet. Sie erwähnten ein klischeehaftes Rollenbild: Die Frau erzählt von ihrem Problem und der Mann gibt ihr einen Lösungsvorschlag, statt einfach zuzuhören und Verständnis zu zeigen.

So leid es mir tut, liebe Frauen, wir sind da nicht besser! Wir verpacken das netter, schieben vielleicht noch ein «oh, du Armer» vor, aber einen guten Rat, eine Lösung oder einen Tipp haben wir im Anschluss auch.

Das habe ich erst kürzlich wieder mal unter Beweis gestellt.

Mein Mann erzählte von einer schwierigen Situation bei der Arbeit, ich lächelte ihn dabei verständnisvoll an. (Mein Mann fand eher arrogant!)

Nach einer kurzen Denkpause, ich muss mir schliesslich die Worte gewählt und weise zurechtlegen, reagierte ich wie folgt: «oh, das tut mir leid, ich kann verstehen, dass dich das geärgert hat, hast du XY darauf angesprochen?» Und da war er, der Lösungsvorschlag. Die Frage, ob mein Mann XY darauf angesprochen hat, war meine Idee wie eine unfaire Situation aufgelöst werden könnte.

Mein Mann war tief verletzt, dass ich nicht einfach beim «es tut mir leid» belieben bin und einen Rat hatte, was er besser machen hätte können. Er hätte sich gewünscht, dass ich ihm einfach beistehe.

Könnte es sein, dass wir die Not des anderen schlecht aushalten? Und dass der Rat, den wir dem andern geben, auch unser Gefühl beruhigen soll?

Ich leide, wenn mein Mann einen schlechten Tag bei der Arbeit hatte und mir erzählt, was alles los war. In meinem Bauch entsteht dann jedes Mal ein Klumpen und meine Gefühle sind von jetzt auf sofort nicht mehr ausgeglichen. – Man könnte auch sagen, ich leide mit.

Und jetzt mal ganz ehrlich. Wenn mein Mann das Problem gelöst bekommt, ist meins mitgelöst! Wenn mein Mann dies und jenes endlich lernen würde und entsprechend handeln könnte in der nächsten Situation, würde ich nie wieder in solch eine Gefühlslage geraten.

Da ist es doch nur verständlich, dass ich dringend nach Lösungen suche und ihm diese vorschlage. Oder?

Ich mag Menschen, die sich zu mir legen, wenn ich am Boden liege und sagen: «Was für ne beschissene Aussicht, lass uns wieder aufstehen.»

Leider geht es mir nicht nur bei meinem Mann so. Mit Freundinnen geht es mir ähnlich. Ach, was soll’s, eigentlich geht es mir fast immer so. Nachrichten, Gespräche mit Bekannten, Teammitgliedern, Hauskreismitgliedern, Freunden, Familie, … überall das Gleiche. Ich tue mich schwer, das Leid des andern auszuhalten, ich möchte lieber „helfen“.

Ich hoffe jetzt ein bisschen, dass es euch auch so geht, denn ich möchte mit dem nicht allein dastehen.

Nach dem Schreiben des letzten Satzes habe ich begonnen zu überlegt, ob dass die bessere Hilfe wäre? Dem andern zeigen: «Du stehst nicht alleine da».

Der Bibelvers: „Einer trage des anderen Last“ geistert mir seit ein paar Zeilen durch den Kopf. Sind Lösungen und Ratschläge verteilen etwa nicht mittragen?

Es formt sich ein bezeichnendes Bild in meinem Inneren. Ratschläge, Lösungen, Tipps, schaffen Abstand. Ich positioniere mich gegenüber oder stelle mich sogar über den anderen. Stehe ich bei oder trage mit stehe ich auf der selben Seite.

Macht das Sinn? Stimmt das Bild?

Ich hatte vor über einem Jahr ein interessantes Gespräch mit Gott über das Thema Mitleid und Empathie.

Grundsätzlich spüre ich Schweres und Leid meiner Mitmenschen sehr gut. Darüber hatte ich mich damals bei Gott beschwert.

Ich erinnerte mich, daraufhin an ein Lied, das ich viele Jahre sehr intensiv gehört habe. In dem Lied gibt es die Strophe: «Ich will deine Auferstehungskraft spürn, die Gemeinschaft deiner Leiden verstehn, gleichgestaltet werden deinem Tod und für ewig Leben mit dir, mit dir mein Gott ….»

Und plötzlich ging mir die Frage durch den Kopf ,was genau sind Jesu Leiden.

Ich erinnerte mich an Jesu Leben. All die Verachtung, Ablehnung, Anklagen, und an seinen Kreuzestod an dem er unsere Probleme, Leiden und Sünden durchlitten hat.

Und dann wurde mir klar: Jesu Leiden sind unsere Leiden, die er trägt.

Und wenn wir seine Leiden verstehen und mit aushalten wollen, müssen wir unsere Leiden mit aushalten und mittragen.

Und dann ist die Fähigkeit, Mitleid zu haben und mitzutragen etwas Gutes, das Jesus selbst so sehr gelebt hat, dass er deshalb gestorben ist.

Selbstverständlich habe ich euch noch ein ABER. Denn ich finde es braucht ein ABER.

Denn mir fallen jetzt Situationen ein, bei denen ich so mitgelitten habe, dass ich nicht mehr wusste, wo ich aufhöre und der andere anfängt. Mir fallen Menschen ein, für die es zur Identität geworden ist, mitzuleiden. Mir fallen Freunde und Klienten ein, die immer wieder betonen, dass sie lernen müssen, dass nicht sie der Retter sind, sondern das Jesus überlassen müssen.

Was ist damit? Wie gehen wir damit um? Woran liegt es, dass uns Gott die Fähigkeit gegeben hat miteinander zu leiden und uns das auch rät zu tun und wir trotzdem so damit kämpfen?

Ein erster Gedanke, der sich in mir formt ist dieser: Seit mein Herz Trost findet und zur Ruhe kommen lernt über meinem Leid  hält mich das Leid der anderen weniger fest. Seit dem überwältigt mich das Leid nicht mehr so sehr.

Könnte das ein Grund sein, warum wir straucheln? Weil Nöte der anderen in Verbindung treten mit unseren eigenen Schmerzen und wir uns  deshalb so schwer tun mitzuleiden? Vielleicht ist unser eigener Schmerz und der der andern einfach zu viel. Und deshalb ist aushalten so schwierig

Was meinst du? Wie gehst du mit deinem Leid und dem der anderen um? Verteilst du auch so gerne Ratschläge?

Lass es mich wissen …