Bedingungslos?!

Nach dem letzten Post sind einige für mich wichtige Gespräche entstanden, die mich zum heutigen Thema inspiriert haben: Bedingungslose Liebe.

Wir reden davon, wir predigen sie. Leben wir sie auch?

Bevor wir das beantworten können, kommen wir nicht drum herum, kurz darüber zu reden, was bedingungslos bedeutet.

Bedingungslos = ohne Bedingungen. Es enthält keinerlei Erwartungen oder Gegenleistungen. Es gilt zu jeder Zeit. Es bedeutet uneingeschränkt/ohne Einschränkung, ohne Vorbehalt, rückhaltlos. Wenn man im Wörterbuch nachschaut und nach der Bedeutung sucht, findet man den Ausdruck «auf Gedeih und Verderb».

Spannend, oder?

Jetzt möchte ich euch bitten, das mit Liebe zu kombinieren.

Oder wisst ihr was, wir machen das zusammen.

Liebe, die ohne Bedingungen ist. Liebe, die keinerlei Erwartungen hat oder Gegenleistungen fordert. Liebe, die zu jedem Zeitpunkt gilt. Uneingeschränkte Liebe/Liebe ohne Einschränkung, Liebe, die nichts vorbehält, rückhaltlose Liebe. Liebe auf Gedeih und Verderben.

Während ich das schreibe schöpfe ich Hoffnung. Der Gedanke, dass es solch ein Liebe tatsächlich geben könnte, lässt mein Herz weit werden.

Gleichzeitig mache ich aber auch einen Realitätscheck. So zu lieben scheint mir unmöglich, und so geliebt zu werden kaum zu glauben.

Wie ist meine Realität:

Ich begegne vielen Menschen bei SEINSEIN, die versuchen besser, seelisch gesünder, reiner zu werden, weil sie überzeugt sind, das zu müssen. Ich treffe auf Menschen, die sicher sind, sie müssen Dinge bereinigen und sich heiligen, weil Jesus das von ihnen erwartet.

Ich selbst habe lange geglaubt, wir dürfen ohne Bedingung zu Gott kommen, aber wenn wir JA zu ihm gesagt haben, dann sollten wir uns zum Besseren verändern. Wir sollten unsere Sünden ablegen, unseren Lebensstil ändern und fleckenlos und rein werden, weil Gott das von uns erwartet.

Wir dürfen unsere Sorgen nicht mehr in Alkohol ertränken, nicht mehr unseren Kummer mit Schokolade stopfen, nicht mehr so viel Netflix oder Fernsehen schauen. Müssen wilde Ehen in von Gott gesegnete Ehen umwandeln, sündhaft sexuelle Gedanken bekämpfen, Arbeitskollegen segnen, statt ihnen die Gurgel umdrehen zu wollen, und uns gegenseitig zu einem heiligen Leben ermahnen.

Vielleicht bin ich euch zu radikal, und trotzdem muss ich fragen: Was hat das mit bedingungslos zu tun?

„Perfektion ist wie ein hübsches Kleid, das sich die Angst anzieht und dann so tut, als wäre sie keine Angst.“– Laura Malina Seiler

Wir alle sehnen uns nach Annahme. Danach, dass jemand einfach Ja zu uns sagt.

Warum gestehen wir uns das nicht zu? Warum fordern wir Weiterentwicklung und Verbesserung von uns? Und erzählen uns gegenseitig, dass Gott auch so denkt?

Ich habe die Sehnsucht nach bedingungsloser Annahme schon in den kleinsten Alltagssituationen. Ich fühle mich schon dann nicht mehr geliebt, wenn mein Mann versucht mich dazu zu erziehen, Silberpapier von Schokolade sofort wegzuräumen, statt es zwei Tage (na gut ich bin ehrlich, bis der nächste Besuch kommt oder der Grossputz ansteht) liegen zu lassen.

Die Sache mit dem Schokoladenpapier war letzte Woche akut. Mein Mann hat sich extrem genervt, weil er das nun schon seit fast 8 Jahren aushält. Eben seit wir zusammenwohnen. Er mag es nicht, wenn Müll rumliegt und möchte (verständlicherweise) nicht hinter mir herräumen müssen. Nachdem das Streitgewitter getobt hatte, konnten wir reden. Er sagte mir, was er brauchen würde, damit er sich wohler fühlt, und ich sagte ihm, dass ich mir wünsche, nicht mehr erzogen/verändert zu werden.

Die Folge des Gesprächs war: Ich habe gemerkt, dass ich meinen Mann liebe und deshalb Rücksicht nehmen möchte. Deshalb bemühe ich mich jetzt, meine Papier-Sachen wegzuräumen. Ich mach es, weil ich liebe. Auf der anderen Seite weiss ich, dass mein Mann durch unser Gespräch ein bisschen mehr Frieden mit seiner nicht ganz aufgeräumten Frau geschlossen hat. Er hat sich aus Liebe dazu entschieden, mich an dem Punkt nicht mehr verändern zu wollen und ich habe aus Liebe entschieden, mich an diesem Punkt zu verändern. Für mich war entscheidend, ich muss mich nicht verändern, es wäre auch nicht schlimm, wenn ich so bleibe, wie ich bin.

Mir ist bewusst, dass dieses Beispiel hinkt, weil mein Mann hierbei ein selbstloser Held sein muss im Gegensatz zu mir. Aber es veranschaulicht für mich unsere Sehnsucht nach bedingungsloser Annahme und die daraus entstehende Frucht Liebe, die sich zurückschenkt.

Manchmal frage ich mich, ob das, was wir aus der Heiligkeit Gottes gemacht haben im Grunde nichts anderes als spirituelle Perfektion ist. Ein Buddhist versucht sich seiner Selbst zu entledigen, was tun wir? Ein Moslem versucht, rein zu bleiben oder zu werden, um Allah zufrieden zu stellen, was tun wir?

Etwas das perfekt ist, lehnt man nicht ab – das glauben wir zumindest. Und streben wir nicht deshalb nach Perfektion? Wollen wir nicht einfach alle angenommen werden?

Wir Christen sind angenommen aus reiner Gnade, das ist uns schon klar. Aber nach dem ersten Annehmen beginnt der Veränderungsprozess, um die Annahme aufrecht zu erhalten.

Eigentlich noch schmerzhafter. Du darfst es kurz spüren und dann renn los, damit es dir nicht verloren geht.

Ich wage es den Schluss zu ziehen, dass Gott keine Bedingungen an uns stellt. Wir müssen uns nicht für ihn verändern. Wir müssen unsere Sünden nicht aufgeben. Er liebt uns so oder so. Er leidet, wenn wir leiden. Aber er erwartet nicht, dass wir uns ändern.

Das soll nicht bedeuten, dass all das keine negativen Folgen hat. Alles was wir nicht aus Liebe tun hat negative Konsequenzen! Und wir müssen sie aushalten wenn wir uns nicht von Gott helfen lassen wollen. Aber wir haben die Wahl und sind geliebt egal für was wir uns entscheiden.

Wenn ich mein schmerzendes Herz mit Netflix-Serien betäube, dann leiden Gott und ich gleichermassen darunter. Weil es meinem Herz nicht gut tut. Aber ich glaube Gott erwartet nicht, dass ich das ändere. Er wünscht es sich für mich und unsere Beziehung. Er wünscht sich, dass ich mein Herz beachte, vielleicht sogar wage ihm hinzuhalten, dass er sich kümmern kann. Aber er stellt das nicht als Bedingung. Er geht mir nach und versucht immer wieder mein Herz zu erobern. Er liebt mich, deshalb möchte er Besseres für mich, aber es ist kein Muss.

Ich glaube bedingungslos zu lieben und geliebt zu werden ist der höhere Weg, für den wir wirklich bei jedem Schritt Gott brauchen, um ihn gehen zu können.

Ich möchte diese Art der Liebe ausprobieren.

Beim Schreiben bekomm ich zwar Panik, weil ich weiss, das werde ich nicht schaffen. Ich werde versagen. Aber es fühlt sich für mich so viel besser an, als Moral und Gesetz hinterherzurennen.

Was denkst du darüber?

Lass es mich bitte wissen …