Beziehung?!

Wer im Moment auf Social Media unterwegs ist, wird förmlich überschwemmt von Predigten, Kurzinputs und Gedanken über die Coronakrise. Wenn ihr so funktioniert wie ich, dann habt ihr vor lauter To Do`s und Meinungen euer Herz ziemlich aus den Augen verloren.

Aber um aufrichtig zu sein, ich bin nicht wahnsinnig beschäftigt damit, das alles umzusetzen, was man da geraten bekommt. Es ist viel mehr das Gegenteil der Fall. Mich lähmt es. Ich bin so überfordert, dass mich das in den Rückzug treibt. Von aussen betrachtet sieht es ein bisschen nach Faulheit aus. Aber das ist es nicht. Ich fühle mich eher, als würde sich dieser viele Input auf mir stapeln und immer schwerer werden. Das bewirkt, dass ich meine eigene Herzensstimme nicht mehr hören kann. Ich kann nicht mehr wahrnehmen, was mir gut tut. Gott zu fragen, fällt mir auch immer schwerer, weil da ja schon so viele, fromme Tipps in meinen Ohren sind.

Andere Menschen reagieren anders darauf. Sie greifen vielleicht eher an. Setzen die Tipps und Meinungen um, werden immer aktiver, beten intensiver und länger, lernen Bibelverse auswendig, usw.. Aber ich vermute, auch sie können vor lauter tun nicht mehr hören, was die eigene Herzensstimme sagt.

Dabei ist es schon ohne Tipps und Meinungen von anderen schwer genug, in Extremsituationen den Kontakt zu sich selbst zu bewahren.

Wie schaffen wir es zurück zu uns?

Ich vermute, in dem wir zuhören. Nicht dem Aussen, sondern dem Innen.

Indem wir hören was unser Herz uns sagt.

Was brauchst du, um dich wahrzunehmen? Musst du sitzen, laufen, liegen, …? Brauchst du ein Sofa, Wald, Fluss, Bett, Jogamatte, …? Hilft dir Musik oder Stille?

Wovon erzählt dein Herz, wenn du ihm zuhörst? Wohin wandern deine Gedanken, wenn du sie lässt?

Anstatt sie zu stoppen und zu lenken, könnten wir auch zuhören und ein Gebet daraus machen.

Wir könnten auch fragen, ob es etwas gibt, was wir für unser Herz tun können.

Kann ich dir etwas Gutes tun, mein Herz? Brauchst du etwas, mein Herz?

Findet ihr es komisch, so mit eurem Herz zu sprechen? Die Psalmisten taten dasselbe. Sie haben es nur etwas anders formuliert. Die Klagelieder sind voll mit solchen Gesprächen und Mendelssohn hat einen solchen Psalm vertont (Psalm 42).

«Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott! …»

Habt ihr noch eine Idee, wie wir zurück zu unserem Herzen finden können?

“ Sich selbst zu lieben ist der Beginn einer lebenslangen Romanze“ – Oscar Wilde

Mir ging noch ein weiterer Gedanke durch den Kopf. Diese ganzen Meinungen und Aufrufe zum Gebet und zu Glauben kommen mir vor wie Regeln. «Tu dies und das, dann wirst du überwinden.» «Habe Glauben und keine Angst, dann wird es dich nicht treffen.» «Wir müssen aufstehen und unsere Autorität ergreifen» usw.. Das alles kommt mir vor, wie eine Gebrauchsanleitung für ein Leben in der Krise. Wie Gesetzestexte, die es zu befolgen gilt.

Nun gibt es aber eine Sache von der ich absolut überzeugt bin. Und das ist, dass es Gott immer, zu jeder Zeit um Beziehung geht.

Hier ein paar Beispiele:

Ich bin sicher, Gott will keinen Glauben von uns, er will eine Beziehung mit uns, in der wir ihm glauben. Er will nicht «kein Sex vor der Ehe», er will eine Beziehung mit uns, in der er Teil unserer Sexualität sein darf. Er will keine dogmatische Stille Zeit, er will eine Beziehung mit uns, in der wir Zeit mit ihm verbringen wollen. Er will keine Dankesgebete, er will eine Beziehung mit uns, in der gegenseitige Wertschätzung dazugehört …

Geht euch das zu weit?

Ich finde, es gibt viel zu viele Gebote und Glaubensthesen, die wir leben, weil wir Regeln befolgen um der Regel willen.

Ich habe im Übrigen gar nichts gegen Regeln und Regelmässigkeiten, wenn sie Beziehung fördern. Eheabende in der man Zeit hat für einander. Wenn einer stopp sagt, halten sich alle daran, um Grenzen zu achten. Ein Schlaflied für die Kinder am Bett, um ihnen zu zeigen, dass man sie liebt. Kommunikation, die nicht zerstört, … Das alles ist so schön. Und es tut uns so gut.

Unsere Beziehung zu Gott profitiert genauso von solchen Regelmässigkeiten wie unsere anderen Beziehungen auch. Aber ich bin auch sicher, dass Regeln, um der Regel willen, Gift sind für eine Beziehung.

Wie wäre es, wenn wir unsere Regeln und Gesetze überdenken? Nicht alles verwerfen, sondern solange ringen, bis es etwas ist, dass meine Beziehung zu Gott befruchtet.

Ich habe eine Idee:  Wie wäre es, wenn wir einmal versuchen würden, Gott den auswendig gelernten Psalm aufzusagen, wie ein Kind voller Stolz den Eltern ein Gedicht vorträgt, anstatt ihn einfach in die Luft zu proklamieren.

Ich wünsche uns allen, dass alles, was gerade los ist, ein Segen wird für unsere Beziehung zu uns und zu Gott!

Lass mich wissen, was du über meine Gedanken denkst, …